Der Reingruber-Stein

2015 bin ich im Zuge einer Internet-Recherche auf den nachfolgenden Artikel gestoßen. Der erste Versuch, selbst diese Stelle in Eidenberg aufzusuchen, war nicht von Erfolg gekrönt und so wandte ich mich direkt an den Autor des Beitrages. Herr Dr. Thomas Schwierz erklärte sich sofort gerne bereit, mir diesen Stein persönlich zu zeigen und so konnte ich an einem sonnigen Samstagvormittag die besagte Stelle besuchen.

Nach Rücksprache mit Herrn Dr. Thomas Schwierz und seiner Erlaubnis ist es mir möglich seinen Original-Beitrag auf unserer Homepage zu bringen. Am Ende des Artikels finden sie noch einige Anmerkungen und Ergänzungen, welche sich auf den militärischen Teil des Artikels beziehen.

Gerhard Utz, Obmann LIR. 2


Ein zeitgeschichtliches Dokument aus dem Eidenberger Wald

Ein seltsames Kriegerdenkmal

Auffindung

Als im November 2013 bei Holzarbeiten in der Zaunerleiten, einem ansteigenden Waldhang in der Ortschaft Kammerschlag in der Gemeinde Eidenberg, an einem Felsblock Moos abgestreift wurde, kamen eigenartige Zeichen zum Vorschein. Franz Peil befreite den Stein mit einer Drahtbürste völlig vom Moos, um die bis dahin unbekannte und geheimnisvoll erscheinende Inschrift freizulegen:[1]

J + R

5 M 1897 E

29 A 1917

K          Mo

A 30 R

Fotos: Schwierz
Hinter der Oberkante des Steines findet sich über der Inschrift ein Eisernes Kreuz eingemeißelt.

Entschlüsselung

Die Entschlüsselung der Inschrift war relativ einfach. Dass es sich bei „J R“ um Initialen und bei den Ziffern um Daten handelt, lag auf der Hand. Ein Blick in die Taufmatrikeln der Pfarre Gramastetten löste das Rätsel. „J R“ steht für Johannes Reingruber, der am 5. Mai 1897 auf dem Spielbergergütl in Kammerschlag 15 geboren wurde. [2] Da Kammerschlag zu Eidenberg gehört, steht das „E“ wohl für Eidenberg. Die Taufe spendete P. Gabriel Fazeny, der damals Pfarrexpositus in Eidenberg war. Im Ersten Weltkrieg fiel Johannes Reingruber am 29. August 1917 an der Isonzofront bei Osseny und liegt auf dem Kriegerfriedhof in Mohorini im ehemaligen Österreichischen Küstenland begraben. [3] „K“ steht für Küstenland und „Mo“ für Mohorini. Alois Reingruber dürfte seinem gefallenen Bruder 1930 diese Gedenkinschrift in den Stein gehauen haben. Damit wäre auch die letzte Zeile der Inschrift „A 30 R“ erklärt.

Die Eltern

Leopold Reingruber, geboren am 16. Oktober 1853, war Sohn des Philipp Reingruber, des Bauern vom Scheibenreifgut in Anger/ Gramastetten. Er heiratete am 8. Juli 1895 Maria Eder, die Tochter des Mathias Eder vom Himmelmairgut in Hals/ Gramastetten, Maria Eder wurde am 12. Juni 1874 geboren. Sie war damit 21 Jahre jünger als ihr Mann, der bei der Hochzeit bereits 41 Lenze zählte. [4] Am 28. Juli 1895 kaufte das frisch vermählte Paar das Spielbergergütl in Kammerschlag vom Vorbesitzer Johann Brunner. [5] Als erstes Kind erblickte Johannes am 5. Mai 1897 das Licht der Welt. Ihm folgte am 26. Juli 1899 Leopold als zweiter Sohn. Am 2. Juni 1907 bekam die Familie nochmals Nachwuchs. Sohn Alois kam zur Welt. [6]

Der Soldat Johannes Reingruber

Johannes Reingruber war von Beruf Knecht. Am 15. Oktober 1915 wurde er im Alter von 18 Jahren zum k.k. Landwehrinfanterieregiment „Linz“ Nr. 2 eingezogen. [7] Seinen Sitz hatte die Einheit in der Derfflingerstraße in Linz. [8] Das einstige Kasernengebäude (Derfflingerstraße 8, 8a, 8b), das heute noch steht, wurde mit 15. Oktober 2009 unter Denkmalschutz gestellt. [9] Der Wahlspruch des Regiments lautete: „Für Gott, Kaiser und Oberösterreich“. Am 16. Jänner 1917 wurden die Landwehrinfanterieregimenter durch Kaiser Karl I. per Dekret in Schützenregimenter umbenannt. Die Begründung lag wahrscheinlich darin, dass die oftmals eher nur als minderwertig angesehene Landwehr aufgewertet werden sollte. [10]

Das Regiment zog 1914 in den Krieg und kämpfte zunächst an der Ostfront. Im Mai 1915 wurde die Einheit an den italienischen Kriegsschauplatz verlegt und nahm hauptsächlich an den Abwehrkämpfen am Isonzo teil. Als Anfang Juni 1916 die Brussilow-Offensive begann, wurde das Regiment für drei Wochen zur Verstärkung nach Ostgalizien abkommandiert, bis die Einheit in der zweiten Augusthälfte 1916 wieder gegen Italien in der 9. Isonzoschlacht östlich von Görz bei Lokve am Ternowaner Wald zum Einsatz kam. Nach einem feindlichen Durchbruch bei Lokvica führte das Linzer Regiment am Höhepunkt der Schlacht einen massiven Gegenangriff durch und konnte etwa 2.000 Gefangene einbringen. Vom August 1916 bis Mai 1917 waren die Soldaten in Abwehrkämpfe am Isonzo verwickelt. Am12. Mai 1917 begann die 10. Isonzoschlacht. Das Regiment verteidigte den Nordhang des Fajti Hrib. Am 23. Mai 1917 erfolgte nach umfangreicher Artillerievorbereitung ein starker italienischer Angriff, der vom Regiment unter großen Verlusten der Angreifer abgewiesen werden konnte. Die Abwehrkämpfe am Isonzo gingen bis August 1917 weiter. Vom 17. August 1917 an beteiligte sich das Schützenregiment Nr. 2 an den Abwehrkämpfen der 11. Isonzoschlacht. [11]

Johannes Reingruber war der 6. Kompanie des k.k. Schützenregiments Nr. 2 zugeteilt. Am 29. August 1917 fiel er zwanzigjährig als Landsturm-Schütze südlich von Osseny während einer „M.G. Bedeckung“ (Maschinengewehrfeuer). Er wurde am 30. August 1917 auf dem Heldenfriedhof Mohorini im Küstenland bei Görz im Grab Nr. 795 beerdigt. In Anerkennung seines „tapferen Verhaltens vor dem Feinde“ verlieh ihm das Vaterland am 11. September 1917 posthum die silberne Tapferkeitsmedaille I. Klasse. [12] Sein Name ist auf dem Kriegerdenkmal in Gramastetten unter der Ortschaft Kammerschlag verewigt.

Silberne Tapferkeitsmedaille I. Klasse Fotoquelle: tompress.shop

Kriegerfriedhof in Mohorini bei Görz Fotoquelle: ÖNB, Bildarchiv Austria (WK1/ALB070/20270)

Bildquelle: Rand McNally World Atlas 1897, via German wikipedia, 6.2.2014.

Totenkartei Fotoquelle: ÖStA, Kriegsarchiv

Grundbuchblatt Fotoquelle: ÖStA, Kriegsarchiv

Das Österreichische Küstenland war eines der Kronländer der K.u.K. Monarchie und ist auf der Karte violett dargestellt.

Die Stadt Görz, hier als GORITZ verzeichnet, liegt in der Mitte der Nordhälfte. Heute gehört der nördliche Teil des Küstenlandes zu Slowenien, der südliche zu Kroatien und der westliche zu Italien. Görz wurde zur italienischen Grenzstadt zu Slowenien.

Kriegerdenkmal in Gramastetten Foto: Schwierz
Eintrag am Kriegerdenkmal in Gramastetten

 

 

 

 

Die beiden jüngeren Brüder

Vom Werdegang und Schicksal des Leopold Reingruber ist nichts überliefert. Zu ihm findet sich bis 1940 kein Eintrag in den Gramastettner Pfarrmatrikeln. Er verlor bald den Kontakt zur Familie. [13] Der jüngste Sohn Alois wuchs am elterlichen Hof auf. Es wäre gut vorstellbar, dass der zehnjährige Alois zu seinem älteren Bruder eine besondere Beziehung hatte, denn als Johannes im Krieg umkam kam, war der Vater bereits 64 Jahre alt. Zudem galt Vater Leopold Reingruber als schwierige Persönlichkeit. [14] So könnte es leicht möglich sein, dass Alois 1930 im Alter von 23 Jahren seinem gefallenen Bruder dieses Denkmal setzte. [15] Vater Leopold Reingruber überschrieb den Hof am 8. Oktober 1940 – er stand knapp vor seinem 87. Geburtstag – seinem jüngsten Sohn Alois, bevor er 91-jährig im Jahre 1944 verstarb. [16] Alois Reingruber bewirtschaftete das Anwesen zunächst mit seiner Frau. Den Eheleuten war ein Sohn geschenkt worden. Als Alois Reingruber psychisch schwer erkrankte, blieb er alleine auf dem Hof zurück, wo er ein Einsiedlerdasein fristete. [17] Am 5. Jänner 1968 hielt ein Nachbar Nachschau, weil er um den Hof keine frischen Spuren im Schnee sah und aus dem Kamin kein Rauch aufstieg. Da die Haustüre verschlossen war, verständigte der Nachbar den Bürgermeister, den Gemeindearzt und die Feuerwehr. Man brach die Türe auf. Alois Reingruber wurde tot im Stall unter den Kühen liegend aufgefunden. Er dürfte schon einige Tage zuvor gestorben sein. [18] Den älteren Eidenberger ist Alois Reingruber als Spielberger Lois noch gut in Erinnerung geblieben.

Eidenberg, im Februar 2014                                                                                                                   Thomas Schwierz

Copyright© 2014 Thomas Schwierz


Anmerkungen und Ergänzungen

Der Autor: Konsulent OA Dr. Thomas Schwierz, wohnhaft in Eidenberg, Obmann der Ortsgruppe Eidenberg des Oberösterreichischen Kameradschaftsbundes, beschäftigt sich seit Jahren mit der Regionalgeschichte des Mühlviertels, Kleindenkmälern, Familiengeschichten und speziell mit der Geschichte seiner näheren Umgebung. Mit einem Besuch auf der Homepage des Kameradschaftsbundes Eidenberg (www.kameradschaftsbund-eidenberg.at) kann man sich einen Einblick in sein reiches Betätigungsfeld verschaffen.

  • Die Umbenennung der Landwehr erfolgte in zwei Schritten:
  • Durch ein allerhöchstes Handschreiben vom 16. Jänner 1917 (Personalverordnungsblatt 16/17) verfügte Kaiser Karl, dass die k. k. Landesschützenregimenter I – III in Kaiserschützenregimenter umzubenennen wären.
  • Zwei Monate später wurde durch die Zirkularverordnung vom 21. März 1917, Präs. Nr. 6129, (Normalverordnungsblatt 15/17) auch die Umbenennung der restlichen k. k. Landwehr angeordnet (Landwehr-Infanterieregiment ð Schützenregiment, Landwehr-Ulanenregiment ð reitendes Schützenregiment, usw.).
  • Aus der Regimentschronik des k. k. Schützenregiments Nr. 2:

„Am 24. August rückte das Regiment wieder in seine altvertrauten Sektionen 7 bis 12 vor. Die Kompagnien bezogen ihre schon bekannten Sektionen und hatten dabei, mit Ausnahme des II. Bataillons keine Verluste. [die 6. Kompanie gehörte zum II. Bataillon]“

„…. Unsere Stellungen sahen greulich aus. Immer wieder dasselbe Lied. Alles eingeebnet, die Drahtverhaue zu Knäueln verwirrt und weggeschleudert und nur die Kavernen hatten sich verhältnismäßig gut gehalten. Eine einzige, die „Dorothea“ war eingeschlagen worden.“

  • Kartenmaterial
Ausschnitt aus der Karte Zone 22 Kol. IX – Görz und Gradisca, Spezialkarte
Verlauf der Stellungen zwischen Fajti Hrib [Berggipfel] und Wippach [Fluss] Fotoquelle: ÖStA, Kriegsarchiv

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Sektionseinteilung blieb bis zum Oktober 1917 unverändert. Ob jedoch die 6. Kompanie im August denselben Abschnitt wie im Mai 1917 (auf der Skizze dargestellt) bezogen hat, kann bisweilen noch nicht eindeutig belegt werden.


[1]     Mitteilung von Franz Peil, vulgo Kramer, Lichtenberg, vom 5.2.2014.
[2]     Taufbuch der Pfarre Gramastetten, Jahr 1897.

[3]     ÖStA, Kriegsarchiv: Grundbuchblatt „Oberösterreich“ (Karton 4241), Toten-Kartei des Weltkrieges (Karton Nr. 755).
[4]     Trauungsbuch der Pfarre Gramastetten, Jahr 1895.
[5]     BG Urfahr, Grundbuch BG Ottensheim, KG Eidenberg, EZ 79 (Hinweis auf das alte Grundbuch: Wildberg ES 19, und Wilhering tom II, fol. 158 u. 214).
[6]     Taufbuch der Pfarre Gramastetten, Jahre 1897, 1899 und 1907.
[7]     7 ÖStA, Kriegsarchiv: Grundbuchblatt „Oberösterreich“ (Karton 4241), Toten-Kartei des Weltkrieges (Karton Nr. 755).
[8]     http://de.wikipedia.org/wiki/K.k._Landwehrinfanterieregiment_%E2%80%9ELinz%E2%80%9C_Nr._2; 6.2.2014.
[9]     http://www.linz.at/archiv/denkmal/default.asp?action=denkmaldetail&id=1859; 6.2.2014
[10]    http://de.wikipedia.org/wiki/K.k._Landwehrinfanterieregiment_%E2%80%9ELinz%E2%80%9C_Nr._2; 6.2.2014.
[11]    http://de.wikipedia.org/wiki/K.k._Landwehrinfanterieregiment_%E2%80%9ELinz%E2%80%9C_Nr._2; 6.2.2014.
[12]    ÖStA, Kriegsarchiv: Grundbuchblatt „Oberösterreich“ (Karton 4241), Toten-Kartei des Weltkrieges (Karton Nr. 755).
[13]    Mitteilung von Franz Reingruber, Linz, vom 20.12.2013.
[14]    Mitteilung von Johann Wakolm, Eidenberg, vom 14.1.2014.
[15]    Mitteilung von Franz Reingruber, Linz, vom 20.12.2013: Franz Reingruber, der Sohn von Alois Reingruber, kannte den Stein nicht, kann sich jedoch seinen Vater Alois als Urheber der Inschrift sehr gut vorstellen.
[16]    BG Urfahr, Grundbuch BG Ottensheim, KG Eidenberg, EZ 79.
[17]    Zeitungsausschnitt in der Chronik der Schule Eidenberg, Band 8, Seite 124.
[18]    Chronik der Pfarr-Expositur Eidenberg.